Warum Poly-Sein mich weder besser noch beziehungsunfähig macht!

Polyamorie wirft immer wieder Fragen auf. Ist das besser als Monogamie? Sind die alle beziehungsunfähig? Und was soll das überhaupt? Unsere Community-Autorin antwortet nun darauf.
Eine blonde polyamore Frau hält rote Herz-Luftballons in der Hand.

Folgend werden die persönlichen Erfahrungen und Meinungen von Juli Solen wiedergegeben...

Poly… was?


Seit ein paar Monaten blogge ich über Themen, die mich bewegen, zum Beispiel den Text Warum ich drei Männer gleichzeitig lieben kann über meine Erfahrungen mit Poly-Beziehungen.

Die Kommentare, die dieses Thema immer wieder auf Facebook auslöst, erschrecken mich und ich lese sie auch bei den Artikeln von anderen. Da immer wieder ähnliche Fragen und Vorurteile aufkommen, ist hier nun mein Versuch ein paar Antworten darauf zu finden. Und noch ein Tipp: Ihr habt andere Fragen? Dann stellt sie neugierig und wertschätzend!

Hier sind vier Fragen, die mir immer wieder gestellt werden:

1.„Hältst Du Polyamorie für besser als Monogamie?“


Nein und ja! Ich kenne wunderbare monogame, „traditionelle“ Beziehungen, die auf den für mich relevanten Prinzipien für Beziehungen aufbauen:
Ehrlichkeit, Verantwortung, Wertschätzung und Kommunikation.

Ich genieße es, solche Paare zu erleben. Ich habe zehn Jahre eine treue, monogame Beziehung geführt, lange Zeit glücklich. Aber die Statistiken und meine eigenen Erfahrungen zeigen, dass es mit Ehrlichkeit und Treue oft nicht weit her ist. Immer wieder gibt es Umfragen zum Thema und die Quote derjenigen, die angeben Seitensprünge zu haben, liegt dabei je nach Umfrage etwa zwischen 30 bis 50 Prozent. Noch höher sind die Quoten, wenn gefragt wird, ob man würde, wenn es die Gelegenheit dafür gäbe. Egal wie niedrig oder hoch die Quote und die mögliche Dunkelziffer ist, das ist keine kleine Minderheit, die sich  gern mal außerhalb der monogamen Beziehung umsehen würde, sondern vielleicht sogar die Mehrheit!



Ja, ich halte offene Kommunikation, Ehrlichkeit und Verantwortungsübernahme für die eigenen Gefühle und Handlungen – egal mit wievielen Beteiligten – für den besseren Weg, auch wenn das meist eine Ecke anstrengender sein dürfte, als heimliche Affären.

Falls Sie aber eine wunderbare Mono-Beziehung der erstbeschriebenen Art haben, dann pflegen Sie sie gut. Vielleicht lassen Sie sich durch Poly-Artikel einfach in ihrem Umgang miteinander bestätigen, auch wenn sie dabei zu zweit bleiben wollen.

Mich persönlich bereichert die Möglichkeit zu mehreren Beziehungen. Ich würde nur ungern zur Monogamie zurückkehren. Aber das muss jede und jeder selber entscheiden. Ich finde nur, es sollte eine Entscheidung und nicht Zwang oder auf Grund fehlender Alternativen sein! (Genauso wie sich Menschen auch gegen jede Beziehungsform entscheiden können.)

2. „Zeugt Polyamorie nicht einfach von Beziehungs- und Bindungsunfähigkeit? Es ist doch unmöglich, mehrere Menschen wirklich zu lieben!“


Ich verstehe diese Frage nicht. Weil ich mich in mehreren Beziehungen engagiere, wird meine Beziehungsfähigkeit in Frage gestellt? Das ist für mich absurd. Natürlich sind die Beziehungen so unterschiedlich wie die Männer. Ich lebe mit meinem Lebensgefährten zusammen, kenne ihn glückselig verliebt, gestresst und tieftraurig. Meine Gefühle für ihn sind tiefer als es je zu einem Mann davor waren. Ich wünsche mir, mein Leben mit ihm zu verbringen und bin unendlich dankbar, dass er ähnlich empfindet. Andere Männer liebe ich anders, sie sind unterschiedlich vertraut, ich sehe sie oft oder unregelmäßig. Manches sind kurze, manchmal auch wiederkehrende Affären, andere teils langjährige Freunde. Sie sind Teil meines Lebens, meines Beziehungsnetzes, ich bin für sie da. Ob ich auch mit ihnen schlafe oder mal geschlafen habe oder mal schlafen werde, ist dabei egal!

3. „Warum könnt ihr uns mit diesem Sex-Scheiß nicht in Ruhe lassen?“


Weil es nicht um Sex geht, sondern um mein Lebensmodell, meinen Alltag und ja um Diskriminierung.

Weil, so lange ich mich von Fremden beschimpfen lassen muss, dass ich nur wegen dieser Lebensform eine Borderline-Persönlichkeit (oder anders psychisch krank) sei und Kinder in solchen Beziehungen nur gestört aufwachsen könnten, so lange ich im Alltag nicht mit zwei Männern Händchen halten kann, ohne eine Schlampe zu sein (und die Männer, die das „mitmachen“, Schlappschwänze) und so lange 99 Prozent der Filme, Bücher und Musik uns erzählen, dass nur die Zweisamkeit glücklich mache und Dritte immer (zer)stören würden, mein Lebensmodell also offenbar noch nicht in unserer Gesellschaft angekommen ist und damit auch nur eine eingeschränkte Wahlfreiheit der jeweiligen Beziehungsform.



Deshalb möchte ich darüber reden, unter anderem mit diesen Beiträgen, und möchte mit Monos und Polys ausloten, was gute Beziehungen ausmacht. Im Innern – nicht in der äußeren Form!

Wenn Polyamorie gesellschaftlich akzeptiert ist, höre ich auf, darüber öffentlich zu sprechen, versprochen!

4. „Wo nimmst du die Zeit dafür her?“


Ganz ehrlich: diese Frage ist soooo berechtigt und es ist schwierig, zumal ich auch einen anspruchsvollen Job mit Reisetätigkeit habe. Und mich nervt die Planung für Verabredungen, die ständigen Absprachen mit mehreren Beteiligten, die erschwerte Spontanität! Aber okay, kann ja auch nicht alles einfach sein! Trotzdem ist es mir das wert.
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Autor*in: Juli Solen

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